Ansatz
Alle Menschen haben ein Recht auf Gleichbehandlung, Respekt, gesellschaftliche Teilhabe und freie Entfaltung ihrer Identität. Dies bedeutet, dass eine „Gesellschaft der Vielen“ (Wir klagen an! Anklage des Tribunals "NSU-Komplex auflösen"), in der Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit gleichberechtigt miteinander leben, möglich und notwendig ist. Eine Gesellschaft, die Differenz als Bereicherung und Vielfalt positiv auffasst, ermöglicht allen die Entfaltung und den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit – in Bezug auf Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung, religiösen oder politischen Ausdruck, Selbstbestimmung über den eigenen Körper und vieles mehr. Das Aushalten und Aushandeln von Spannungen, die sich aus verschiedenen Lebensentwürfen ergeben, ist ständige Aufgabe der Gesellschaft und jeder_s Einzelnen.
In Kontrast dazu werden Herrschaftsverhältnisse und Ungleichbehandlungen derzeit durch (konstruierte) Unterschiede gerechtfertigt. Menschen werden aufgrund ihrer (vermeintlichen) Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe ausgegrenzt. Mit unserem Projekt wollen wir Diskriminierung entgegenwirken und zum Empowerment marginalisierter Gruppen beitragen, um so das Recht aller auf Teilhabe und Gleichberechtigung zu stärken.
„Antifeminismus“ verstehen wir als Sammelbegriff für und verbindendes Element zwischen gegenwärtigen Positionen und Akteur_innen, die sich gegen die Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt sowie gegen Errungenschaften und Forderungen gleichstellungspolitischer und emanzipatorischer Bewegungen wenden. Im Fokus stehen dabei unterschiedliche Themen, unter anderem:
- körperliche Selbstbestimmung und das Recht auf Schwangerschaftsabbruch
- gleichstellungspolitische Bemühungen des Staates, Gender Mainstreaming
- geschlechtliche Vielfalt und die Rechte von trans* und inter* Personen
- Akzeptanz sexueller Vielfalt, z.B. im Kontext der „Ehe für alle“
- Bevölkerungspolitik, Familienbilder und Geschlechterrollen
- sexualpädagogische Aufklärung in Schulen, Verankerung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Bildungsplänen
- Vorgehen und Ergebnisse der Gender Studies
Allen antifeministischen Positionen und Haltungen liegen strukturelle Diskriminierungs- und Machtverhältnisse zugrunde, für deren Abbau wir uns im Rahmen dieses Projekts einsetzen. Unser Fokus liegt dabei auf Sexismus, Homofeindlichkeit und Heteronormativität, Trans*feindlichkeit und Inter*feindlichkeit. Wir versuchen, die Mehrdimensionalität und Verschränkungen dieser und anderer Diskriminierungs- und Machtverhältnisse (u.a. Rassismus, Klassismus, Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit) in unserer Arbeit zu berücksichtigen.
Während Geschlechterrollen und -verhältnisse durch rechte Bewegungen lange Zeit eher implizit thematisiert wurden, werden die oben genannten Themen in den letzten Jahren (erneut) explizit besetzt. Breit medial und öffentlich diskutiert werden Positionen, die sich eine Re-Traditionalisierung von Geschlechterbildern und -rollen wünschen, Feminismus und seine Errungenschaften sowie staatliche Gleichstellungspolitiken als übertrieben oder unnötig einstufen und die Akzeptanz aller geschlechtlichen und sexuellen Lebens- und Liebensweisen ablehnen bzw. darauf abzielende Politiken als zu weitgehend oder illegitim erachten. Diese Positionen mobilisieren Menschen aus unterschiedlichen politischen Spektren und fungieren als Scharniere: Sie verbinden rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppen mit konservativen Milieus und haben enorme Ausstrahlungskraft bis weit in die gesellschaftliche Mitte hinein. Die breiten Bündnisse, die sich so ergeben, bedrohen Errungenschaften demokratischer und gesellschaftlicher Freiheit und Gleichstellung. Ihren Positionen gilt es alternative Narrative und Forderungen entgegenzusetzen.
Das Internet und Soziale Medien haben etablierte Medien heute als Informationsquelle in vielerlei Hinsicht abgelöst. Viele, besonders junge Menschen erhalten Nachrichten allein über Plattformen wie Facebook und Youtube, über Blogs und darin verlinkte Online-Nachrichtendienste. Mangelnde Seriosität und Faktizität der im Netz verbreiteten Inhalte sind nicht zuletzt im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2016 in den USA stark in den Fokus öffentlicher Debatten gerückt. Allerdings ist auch die Einseitigkeit der Informationen problematisch. Für eine vielfältige Gesellschaft ist die Rezeption unterschiedlicher Perspektiven auf Sachverhalte unabdingbar.
Problematisiert werden in dieser Hinsicht auch sogenannte „Echokammern“. Der Begriff beschreibt selbstgeschaffene digitale Umgebungen, in denen Menschen fast ausschließlich auf Gleichgesinnte treffen und Informationen erhalten, die sie in ihren Überzeugungen bestärken und einen falschen Eindruck von der Größe der eigenen Blase vermitteln.
Besonders rechtspopulistische Inhalte erreichen in Netzwelten eine große Anzahl von Menschen – rechtsextreme Gruppen nutzen das Internet schon lange erfolgreich als Propagandaplattform. Jugendliche und junge Erwachsene sind dabei eine wichtige Zielgruppe rechter Propaganda und Mobilisierung im Internet. Dabei sind die vertretenen Meinungen – u.a. sexistische, gleichstellungs- und homofeindliche Einstellungen – nicht neu und nicht auf Netzwelten beschränkt. Das Internet bietet aber neue Formen, solche Propaganda und Angriffe zu verbreiten. So werden unter anderem Frauen und queere Personen eingeschüchtert, bedroht und zum Schweigen gebracht. Eine Organisation von Gegenrede und Gegennarrativen zu antifeministischer, sexistischer Hassrede steckt noch in den Anfängen. Es bedarf noch viel stärker als bisher einer digitalen Zivilgesellschaft und digitaler Solidarität. Unser Projekt will hier einen Bogen schlagen. Es will daher nicht nur online sondern auch offline arbeiten, nicht nur gegen die Ausdrucksformen (z.B. Hassrede) aktiv sein sondern die dahinter liegenden Diskriminierungsverhältnisse aufzeigen und für Akzeptanz und Vielfalt eintreten.
Hate Speech (Hassrede) im Netz ist digitale Gewalt, beispielsweise in Form von Beleidigungen, Drohungen oder Belästigungen, und richtet sich gegen Personen, die einer bestimmten Gruppe angehören oder ihr zugeordnet werden. Menschen erfahren Hate Speech aufgrund ihrer Hautfarbe oder (vermeintlichen) Herkunft, ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung oder ihres Körpers. Das heißt, Hate Speech ist nicht das gleiche wie Cyber-Mobbing und es handelt sich dabei auch nicht um ein reines Netzphänomen: Hassrede beruht auf und speist sich aus den realen Macht- und Diskriminierungsverhältnissen unserer Gesellschaft. Zu diesen gehören Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Sexismus, Homofeindlichkeit, Ableismus (Behindertenfeindlichkeit) und Klassismus (Diskriminierung aufgrund von sozialer Herkunft und sozialem Status). Während also Cyber-Mobbing, Beleidigungen und Shitstorms prinzipiell alle Menschen treffen können, richtet sich Hate Speech gegen Menschen, die auch offline Diskriminierung erfahren. Außerdem kann Hassrede Menschen treffen, die selbst keiner der genannten Gruppen angehören, die aber online und offline gegen Diskriminierung eintreten.
Hate Speech hat dabei immer auch eine strategische Dimension, die besonders von rechtsextremen und rechtspopulistischen Akteur_innen genutzt wird: "Die Sprechakte sollen oft nicht nur verletzen, sondern werden gezielt als verbale Waffe eingesetzt: zur Rekrutierung von Sympathisant_innen, zur Einschüchterung von Aktivist_innen, um Themen zu setzen und um Deutungshoheit in gesellschaftlichen Diskursen zu gewinnen" (Amadeu Antonio Stiftung: Toxische Narrative - Monitoring rechts-alternativer Akteure).
Hassrede beschreibt und bewertet dabei nicht nur, sie erzeugt ein Verständnis von Realität und ist damit "zentral an der Erzeugung des Hasses und der für den Hass notwendigen Denkmodelle beteiligt" (Amadeu Antonio Stiftung: „Geh sterben!“ Umgang mit Hate Speech und Kommentaren im Internet). Sprache ist Handeln und Hate Speech hat immer Auswirkungen auf menschliches Verhalten. Gerade innerhalb von Echokammern kann ein Druck entstehen, den Drohungen auch Taten folgen zu lassen. Zudem dient das Netz auch der Planung konkreter Aktionen, wie der Verabredung rechtsextremer Überfälle.
Hate Speech rückt zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung – erste Versuche politischer Entgegnungen wurden unternommen, unter anderem durch das im Juni 2017 vom Bundestag verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Die öffentliche, politische und juristische Reaktion bleibt aber oberflächlich und konzentriert sich vor allem auf die strafrechtlich relevanten Aspekte von Hate Speech.
Demgegenüber begreifen wir Hate Speech, wie oben erklärt, nicht als isoliert auftretendes oder spezifisch digitales Phänomen. Wir versuchen Ansätze zu schaffen und zu stärken, die gesellschaftliche Machtverhältnisse kritisch reflektieren, den Abbau von Diskriminierung zum Ziel haben und sich mit den Menschen solidarisieren, die online wie offline Diskriminierung erfahren.
Wir wollen mit unserem Projekt auch einen Beitrag leisten, von Hassrede und Diskriminierung betroffene Personen zu unterstützen. Dazu sollen Gegenredestrategien und -inhalte gebündelt und verbreitet und Gegenerzählungen verstärkt und sichtbar gemacht werden.
Was heißt Gegenrede?
Unter Gegenrede – englisch Counterspeech – verstehen wir Antworten auf diskriminierende, abwertende und rechtspopulistische Inhalte. Gegenrede kann dabei inhaltlich Gegenposition beziehen aber auch die Strategie hinter rechten und Hasskommentaren entlarven. Gegenrede wird allerdings häufig mit Beleidigungen und Bedrohungen begegnet. Wichtiger scheint es uns, Gegennarrative zu stärken und zu verbreiten.
Was sind Gegennarrative?
Gegennarrative oder Gegenerzählungen – englisch Counternarratives – sind Erzählungen, die eine andere Deutung von Welt und Geschehnissen anbieten. Durch Erzählungen werden Ereignisse in einen logischen Sinnzusammenhang gebracht, der die Bewertung und damit auch die Reaktion einer Person beeinflusst: „Gemeint sind Narrative, mit denen wir die Welt ordnen, erklären und die beschreiben, aus welchem Blickwinkel wir die Gesellschaft betrachten" (Amadeu Antonio Stiftung: Toxische Narrative - Monitoring rechts-alternativer Akteure).Gegennarrative bieten Weltdeutungen, die für Gleichberechtigung und Gleichstellung, für eine offene und vielfältige Gesellschaft und gegen Hass und Ausgrenzung stehen.
Mit solchen Gegennarrativen wollen wir nicht nur Unentschiedene erreichen, um deren Einstellung zur Welt positiv für Vielfalt und Gleichberechtigung zu öffnen. Gleichzeitig sollen von Hassrede und Diskriminierung Betroffene empowert werden. Empowerment bedeutet für uns vorrangig, dass Menschen mit geteilten und/oder ähnlichen Erfahrungen sich gegenseitig stärken (peer-to-peer). Daher versuchen wir, besonders Beiträge und Stimmen von Menschen einzubinden und zu verbreiten, die selbst Diskriminierung im Netz (und darüber hinaus) erleben.
Soziale Medien und Netzwelten sind nicht nur Plattform für Hass und Diskriminierung. Sie ermöglichen Vernetzung und Austausch, gerade für Menschen, die Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren oder mit ihren Zugehörigkeiten unsichtbar bleiben (müssen), also beispielsweise für lesbische, schwule, bisexuelle, trans*, inter* und queere Menschen (besonders im ländlichen Raum) sowie People of Color. Diesen empowernden Charakter Sozialer Medien gilt es zu stärken und auszubauen!